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Wieso?
Damals - vor 25 Jahren - in Ost- Berlin
Zu ziemlich genau der gleichen Uhrzeit, wie dieser Beitrag entstanden ist (gegen 3:00 Uhr Nachts), wurde ich vor 25 Jahren aus dem Schlaf geschüttelt. Mein Bruder stand an meinem Bett und flüsterte mir aufgeregt zu:
"Martin, wach auf! Die Grenze ist offen."
"Was ist los?"
"Die Grenze ist auf. Komm, wir gehen rüber?"
"Nee, ich will schlafen."
"Haste nich gehört, die Mauer ist offen. Wir können in den Westen"
"Ich bin müde, laß mich."
"Na dann schlaf weiter."
Ich glaube, er hat noch den Kopf geschüttelt und ist dann verschwunden.
Am Morgen ging ich ganz normal zur Schule und wurde dafür von der Direktorin mit den Worten begrüßt.
"Guten Morgen Herr Pflüger, Sie hier?"
Das war wohl dem Umstand geschuldet, daß meine Eltern die einzigsten Eltern meiner Klasse waren, welche nichts mit der Partei und dem Apparat zu tun hatten, sondern "nur" selbstständige Handwerker. Diese Erkenntnis stellte sich bei mir aber erst einige Monate später ein, als ich mit den Bezeichnungen "MfS" und "MdI", die ich so oft im Klassenbuch gelesen hatte, endlich mal etwas anfangen konnte.
Die Direktorin war aber offenbar der Meinung, das ich - als Sohn von Kapitalisten - schon lange im Westen sein müßte. Zur Hälfte hatte sie damit ja auch recht. Meinen Bruder habe ich mehrere Tage nicht mehr gesehen.
Bei dem Gedanken an meine Schulzeit, stellen sich bei mir noch heute so manches mal die Nackenhaare auf, wenn ich über mein damaliges Umfeld nachdenke. Der "berühmte" Stasi- Knast Berlin-Hohenschönhausen lag am Ende meiner Straße, ohne daß ich dies zu DDR- Zeiten für voll genommen hätte. Und ich bin mehrmals in der Woche an dessen Mauern vorbei gelaufen. Stasi war für mich bis dahin eh ein Fremdwort.
Der Vater eines Mitschülers war Oberst der Stasi und durfte dafür nach der Wende mehrere Jahre in den Knast. Ich war mehrmals bei diesem Schüler zu Hause, in einem sehr speziellem Wohnhaus. Auch eine späte Erkenntnis.
Mielkes Enkeltochter war eine Klassenstufe unter mir, nicht annähernd so schön, wie sie borniert war. Was mich damals, ohne entsprechendes Hintergrundwissen, etwas irritiert hat. Schalck-Golodkowski wohnte am anderem Ende der Straße...
Und wer weiß, was da noch so alles rumgekrochen ist.
Meine Eltern machten sich zu DDR- Zeiten immer lustig über eine Frau aus unserer Straße, die sie nur das "Rote Radieschen" nannten. Ich habe keine Ahnung, welche Funktion dieses Radieschen bekleidet hat, um diesen Namen zu verdienen, aber manchmal möchte ich meinen Eltern heute noch auf den Hinterkopf hauen, für die Blindheit, mit der sie mich durchs Ostleben haben laufen lassen. Hätten sie nicht mal was sagen können, wo wir leben? Was ist ein kleines rotes Radieschen gegen eine ganze Klasse voller inoffizieller Mitarbeiter, den halben Spitzelapparat im Viertel und die dazu passende Anstalt am Ende der Straße.
Andererseits hatte es im Nachhinein auch etwas Gutes. Ich hatte dadurch eine unbeschwerte Kindheit / Jugend und habe mir um eventuelle Repressalien keinen Kopf gemacht, da ich nichts von ihnen wußte. Wer weiß, wie mir meine Verweigerung der FdJ später im Berufsleben ausgelegt worden wäre. Dabei war ich einfach nur zu faul, ständig an irgendwelchen Veranstaltungen teilnehmen zu müssen, das doofe Hemd nicht zu vergessen, wenn mal wieder in der Schule was anstand. Meine Zeit als Thälmannpionier hatte mich da eines besseren belehrt.
Und ich bin mir sicher, Matrose bin ich nur geworden, weil es irgendjemand so wollte. Eigentlich wollte ich Straßenbahn- oder Busfahrer werden.
Bloß gut, das sich da jemand eingemischt hat. :-P
Theoretisch könnte ich das nachprüfen und ich habe auch schon so manches mal überlegt, eine Einsicht in die Stasi- Unterlagen zu beantragen, aus reiner Neugier. Aber irgendwie lebe ich auch jetzt mit dem guten Gefühl, das ich nichts weiß. Was würde es bringen, sich jetzt über die mehr als 25 Jahre alten Machenschaften aufzuregen?!
Aber trotz meiner damaligen Naivität, bekomme ich noch heute feuchte Augen, wenn ich Berichte über diese Zeit sehe. Denn nach dem 9.11.1989 hatte ich das ungute Gefühl, daß ich einen sehr wichtigen Teil der DDR verpaßt hatte, und habe mir deshalb alles reingezogen, was es dazu zu sehen gab. Die Berichte und Dokumentationen haben mir dann endlich gezeigt, was die Menschen wirklich für ein Risiko auf sich genommen haben, als sie auf die Straße gingen. Zwei Tage, vor der ersten Montagsdemo in Leipzig, haben viele Menschen in Berlin vor‘m "Lampenladen" demonstriert und wurden dafür noch gnadenlos niedergeknüppelt.
Ich bin ihnen allen unendlich dankbar für ihren Mut.
Meinen ersten "Grenzübertritt" habe ich schließlich, zusammen mit einem "inoffiziellem Mitarbeiter", an der Bornholmer Brücke vollzogen. Einen Tag später, am 11. November 1989.
Bin auch brav zur Grenzbeamtin gegangen (hat die böse geguckt) und habe mir ein Visum in den Ausweis stempeln lassen. Damit ich auch ja wieder zurückkomme.
Bye Mac
Remember, remember the ninth of november!
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